Forschungspositionen

Seit den Anfängen von Elfriede Jelineks literarischem Schaffen werden in ihren Texten ökonomische Verhältnisse anhand von Beziehungen zwischen den Geschlechtern thematisiert, wobei die Kritik an den Prozessen der Wirtschafts- und Finanzwelt oftmals mit einer Kritik an patriarchalen Strukturen verschränkt ist, die ökonomischen Machtverhältnisse also als „phallischer Materialismus“[1] entlarvt werden. Gleichzeitig basiert die feministische Ökonomie auf diesem Spannungsfeld. Fokus dieses Untersuchungsbereichs war also, wie sich die Forschungspositionen wandeln bzw. welche gendertheoretischen, philosophischen und kulturwissenschaftlichen Entwicklungslinien in diesem Kontext anhand der Texte Elfriede Jelineks auszumachen sind.

So berücksichtigt Jelinek in ihrer Kapitalismuskritik von Beginn an nicht nur die Kategorie Geschlecht wie im Kurzprosatext Bild und Frau (1984), sondern auch Wechselwirkungen zwischen Dimensionen wie Klasse, Rasse und Sexualität wie in den Kurzprosa-Texten DER FREMDE! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs (1969) und Begierde & Fahrerlaubnis (eine Pornographie) (1986). Welche (intersektionalen) Paradigmenwechsel in den Gender Studies nimmt sie damit bereits vorweg? Welche Entwicklungslinien sind hier werkgenerisch auszumachen?

Welchen kulturgeschichtlich bedingten Veränderungen und Entwicklungen ist die in Jelineks Werken vorgenommene Engführung von Kapitalismuskritik und Patriarchatskritik unterworfen?

An den Romanen Die Liebhaberinnen (1975) und Lust (1989) lässt sich in diesem Sinne eine Entwicklung erkennen, in der von der modellhaften, mikro-ökonomischen Beobachtung der wirtschaftlichen Ausbeutung bzw. Abhängigkeit von Frauen hin zu einem bildhaften, pornografisierenden Sprachstil abgehoben wird, der die Diskriminierung weiblicher Sexualität mit der ökonomischen Unterlegenheit von Frauen ironisierend verschränkt

Im Roman Gier (2000) kulminiert die Verschränkung der Ökonomiekritik mit der Kritik weiblicher (Selbst-)Ausbeutung in einer sprachlich-literarischen Konstruktion, die Andrea Pontzen als „pornographischen Pakt“ [2] zwischen Text und Lesern beschreibt. Ähnliche Entwicklungen lassen sich zwischen den Theatertexten Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften (1979), Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (2009) und FaustIn and out. Sekundärdrama zu Urfaust (2012) beobachten, wenn Jelinek eine sprachlich-ritualisierte Sexualisierung wirtschaftlicher Transaktionen anhand der Sprache der Bankenspekulation mit der sexualisierenden Sprache zur Unterdrückung von Frauen engführt.

Von Interesse erschien zudem, ob die Unterscheidung zwischen Gender als empirischer und Gender als konzeptioneller Kategorie, wie sie neuere feministisch-ökonomische Studien vorschlagen, Einfluss auf aktuelle Texte Jelineks hat und wie sie von ihr gestaltet werden.
Welche Relevanz hat die Unterscheidung in sex und gender bzw. die Infragestellung dieser Kategorien in Hinblick auf die Thematisierung von Wirtschaft und Finanzwelt in ihren Werken?
Interessante Ergebnisse ergaben sich hier u.a. auch auf sprachlicher Ebene und auf Ebene der hybriden Figuren, die hermaphroditisch, untot, Mensch-Maschine-Hybriden oder auch wie die antropomorphen Roboter in Rein Gold. Ein Bühnenessay (2012) sein können, (die dort die Walküren ersetzen). Auf diese Weise werden wirtschaftliche Rationalisierungs- und Reproduktionstechniken im literarisch-dramatischen Phantasma wiedergeben. Heranzuziehen waren hier hinsichtlich der Kategorie Gender insbesondere der frühe Theatertext Krankheit oder Moderne Frauen (1987), in dem zwei Vampirinnen zu einem menschenfressenden Doppelgeschöpf werden, oder der aktuell entstandene Essay Zur Kinofassung von Lars von Triers „Nymph()maniac“ (2014), in dem Jelinek über die biotechnische Errungenschaft, das weibliche Geschlecht künstlich herzustellen, zu Lars von Triers Ökonomie sado-masochistischer Geschlechterbeziehungen wechselt.

Das Spannungsfeld von ökonomischer und patriarchaler Macht, das stetigen Veränderungen und Verschiebungen ausgesetzt ist, wurde in Jelineks Werk sowohl in Rücksicht auf die unterschiedlichen Entstehungskontexte der Texte als auch die verschiedenen Gattungen herausgearbeitet.

[1] Scheit, Gerhard: Hanswurst und der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik: Von Mozart bis Thomas Bernhard. Wien: Deuticke 1995, S. 201.
[2] Pontzen, Alexandra: Beredte Scham – Zum Verhältnis von Sprache und weiblicher Sexualität im Werk von Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz. In: Gruber, Bettina / Preußer, Heinz-Peter (Hg.): Weiblichkeit als politisches Programm? Sexualität, Macht und Mythos. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005, S. 21-40, hier S. 35.

Textauswahl

KURZPROSA

DER FREMDE! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs (1969)
Jelinek, Elfriede: DER FREMDE! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs. In: Handke, Peter (Hg.): Der gewöhnliche Schrecken. Horrorgeschichten. Salzburg: Residenz Verlag 1969, S. 146-160.

Bild und Frau (1984)
Jelinek, Elfriede: Bild und Frau. In: Knödler-Bunte, Eberhart / Ziehe, Thomas (Hg.): Der sexuelle Körper. Ausgeträumt? Berlin: Ästhetik und Kommunikation 1984, S. 146.

Begierde & Fahrerlaubnis (eine Pornographie). Erster Text von vielen ähnlichen (1986)
Jelinek, Elfriede: Begierde & Fahrerlaubnis (eine Pornographie). Erster Text von vielen ähnlichen. In: manuskripte 93 (1986), S. 74-76.


ROMANE

Die Liebhaberinnen. Roman
(1975)
Jelinek, Elfriede: Die Liebhaberinnen. Roman (1975) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1975 (= das neue buch 64).

Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr. Prosa (1985)
Jelinek, Elfriede: Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr. Prosa. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985.

Lust (1989)
Jelinek, Elfriede: Lust (1989) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1989.

Gier. Ein Unterhaltungsroman (2000)
Jelinek, Elfriede: Gier. Ein Unterhaltungsroman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000.


DRAMEN

Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften (1979)
Jelinek, Elfriede: Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften. In: manuskripte 58 (1979), S. 98-116. Auch in: Theaterstücke. Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften. Clara S. musikalische Tragödie. Burgtheater (hg. v. Ute Nyssen). Krankheit oder Moderne Frauen (hg. v. Regine Friedrich). Mit einem Nachwort von Ute Nyssen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992 (= rororo 12996), S. 7-78.

Krankheit oder moderne Frauen. Wie ein Stück (1987)
Jelinek, Elfriede: Krankheit oder moderne Frauen. Wie ein Stück. In: Theaterstücke. Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften. Clara S. musikalische Tragödie. Burgtheater (hg. v. Ute Nyssen). Krankheit oder Moderne Frauen (hg. v. Regine Friedrich). Mit einem Nachwort von Ute Nyssen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992 (= rororo 12996), S. 191-265.

Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (2009)
Jelinek, Elfriede: Die Kontrakte des Kaufmanns. Rechnitz (Der Würgeengel). Über Tiere. Drei Theaterstücke. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009, S. 207-348.

FaustIn and out. Sekundärdrama zu Urfaust (2012)
Jelinek, Elfriede: FaustIn and out. Sekundärdrama zu Urfaust. (2012)

Rein Gold. Ein Bühnenessay (2012)
Jelinek, Elfriede: Rein Gold. Ein Bühnenessay. (2012) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2013.


ESSAYS

Offener Brief an Alfred Kolleritsch und Peter Handke (1969)
Jelinek, Elfriede/Zobl, Wilhelm: Offener Brief an Alfred Kolleritsch und Peter Handke. In: manuskripte 27 (1969), S. 3-4. [Über den Realismusstreit zu den gesellschaftlichen Aufgaben der Literatur]

Die endlose Unschuldigkeit (1970)
Jelinek, Elfriede: Die endlose Unschuldigkeit. In: Matthaei, Renate (Hg.): Trivialmythen. Frankfurt am Main: März 1970, S. 40-66, S. 49-50.

Friedensbewegung und Männerkultur (1978)
Jelinek, Elfriede: Friedensbewegung und Männerkultur. In: Kommission des ZK der KPÖ für Intellektuellenarbeit (Hg.): Kulturpolitisches Forum der KPÖ. Protokoll der Konferenz abgehalten am 14. Juni 1978, S. 77-79.

Frauenbewegung und Frauenkultur (1978)
Jelinek, Elfriede: Frauenbewegung und Frauenkultur. In: Volksstimme, 22.7.1978.

Rede einer Feministin (1978)
= Jelinek, Elfriede: Dankesworte der Preisträgerin (für den Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim) und Die Ballade von den drei wichtigsten Männern und dem Personenkreis um sie herum. In: Die Schwarze Botin 9 (1978), S. 6-8.
Jelinek, Elfriede: Rede einer Feministin. In: Stadt Bad Gandersheim (Hg.): Roswitha-Gedenkmedaille 1978-1982. o. O.: Verlag Braunschweig 1983, S. 21-22.

Zur Kinofassung von Lars von Triers „Nymph()maniac“ (2014)
Jelinek, Elfriede: Zur Kinofassung von Lars von Triers „Nymph()maniac“.